Innovatives Lernen mit Tablets, Graz (1)

von S. V.

Tag 1 – Sonntag, 05.Mai 2019

Gestern bin ich gemeinsam mit zwei weiteren Kolleginnen aus Dithmarschen angereist. Wir haben den Flug von Hamburg nach Wien genommen, um dann mit dem Zug nach Graz zu fahren. Die Fahrt aus der Österreichischen Hauptstadt war wunderschön und beeindruckend. Am späten Abend haben wir schließlich unsere Unterkunft erreicht und sind nach einem kurzen Essen direkt ins Bett gefallen.

Heute ist der erste Tag in Graz. Ich beschließe mit den zwei Kolleginnen die Stadt zu erkunden, was sich als sehr lohnenswert erweist (auch wenn der Fußweg ins Zentrum – und auch zu atempo – 40 Minuten beträgt): die Stadt ist schön und überraschend grün. Besonders gut gefallen hat mir die Altstadt, die schönen alten Häuser mit ihren Balkonen sind einfach traumhaft.

Außerdem schauen wir uns schon mal das Gebäude von atempo an, wo das Lernprogramm in den nächsten Tagen stattfinden wird, an. Anschließend organisiere ich mir ein Wochenticket für die Bahnen und Busse und mache mich dann bereit für das erste Treffen am Abend. Wir versammeln uns beim Wienerwirt auf ein Kennenlernen und Abendessen. Insgesamt sind zehn von insgesamt 14 Teilnehmern zum Essen erschienen: zwei Teilnehmer aus Bulgarien, der Rest ist aus Deutschland angereist. Die zwei Dozenten scheinen sehr nett zu sein. Bei einem leckeren Tafelspitz kommen wir ins Gespräch und ich freue mich schon jetzt auf den morgigen Tag mit allen und bin gespannt, was wir lernen werden.

Tag 2 – Montag, 06.Mai 2019

Morgens versammeln wir uns alle um 9 Uhr im Gebäude von Atempo. Zunächst wird uns das Programm für die anstehende Woche vorgestellt und erläutert. Nachdem wir von unseren Sitznachbarn und Bekanntschaften getrennt und in neuen Kleingruppen zusammengewürfelt werden, bekommen wir eine kleine Aufgabe, die sogenannte Marshmallow Challenge: Dabei bekommt jedes Team, bestehend aus fünf Teilnehmern, rohe Spaghetti-Nudeln, ein Klebeband, Faden und ein Marshmallow. Die Aufgabe besteht darin, einen möglichst hohen Turm aus den vorhandenen Materialien zu bauen – ohne dabei andere Hilfsmittel zu benutzen. Nicht zuletzt durch die clevere Denkweise der Männer in meinem Team, gewinnt unser Tisch diese Challenge. Rückblickend reflektiert war das eine tolle Aufgabe, um das Team zusammenzuführen, einander von einer anderen Seite kennenzulernen, miteinander Spaß zu haben und gemeinsam etwas zu erschaffen. Diese Challenge merke ich mir für meinen Unterricht.

Anschließend bekommen wir einen Rundgang durch das Haus „Atempo“. Uns wird erklärt, dass hier viel Wert daraufgelegt wird, auch behinderten Menschen die Möglichkeit der Arbeit zu bieten. Da es in Österreich keine Jobzentren gibt, wird versucht sie hier soweit es geht zu unterstützen – beispielsweise mit Jobs als Hilfskoch. Das gefällt mir wirklich gut, die Inklusion findet hier auf optimale Art und Weise statt. Hier essen wir später auch (fast) alle gemeinsam zu Mittag und tauschen uns dabei in netter Runde aus.

 

Nun kommen wir schon zum Projekt „Papierloses Klassenzimmer“: Zunächst soll jeder mithilfe des iPads eigenständig einen Steckbrief erstellen und sich danach vor dem gesamten Kurs vorstellen und seinen Steckbrief präsentieren und erläutern. Meiner sieht folgendermaßen aus:

Im Anschluss daran, werden wir aufgefordert, Lern-Apps vorzustellen, die wir bereits kennen und für gut befinden, idealerweise sogar schon im Unterricht anwenden. Eine Mathematik-App wird präsentiert: „AB Mathe“ heißt sie und ist ein Rechenspiel für Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren. Hier werden grundlegende mathematische Fähigkeiten wie Kopfrechnen, Addieren und Multiplizieren geübt. Dabei stehen mehrere Niveaus und Schwierigkeitsstufen zur Verfügung. Ich finde die App super und habe sie direkt auf das iPad geladen.

Des Weiteren wird uns die App „Fingerzahlen“ gezeigt, bei der es darum geht, möglichst schnell Mengen zu erkennen und mit den Fingern zu legen.

Außerdem experimentieren wir mit der „Sprachausgabe“ (Textstellen oder Bildschirminhalt wird laut vorgelesen – perfekt für blinde Menschen, genau wie Sprachsteuerung über „Siri“) sowie „Spracheingabe“ (mit meiner Stimme ganz schnell und einfach über die Diktierfunktion und das Mikrofon schreiben) herum. Diese Bedienungshilfen finden sich in den Einstellungen des iPads und die vorgestellten Apps sind kostenlos.

Auch ich stelle Apps vor: „Monster ABC“ zum Erlernen des Alphabets und „Conni Rechnen“ zur Stärkung grundlegender mathematischer Kenntnisse. Ich arbeite sehr gern mit diesen Apps und die anderen Teilnehmer schienen die beiden auch sehr spannend zu finden und geben mir tolles Feedback dazu. Und so geht der Tag heute erfolgreich zu Ende.

 

Tag 3 – Dienstag, 07.Mai 2019

Heute treffen wir uns um 8 Uhr morgens, um in die erste iPad-Schule Österreichs zu fahren und sie zu besuchen. Nachdem wir vom Direktor der iPad-Schule Jennersdorf empfangen und begrüßt werden, wird uns das Konzept der Schule erläutert. Jede Klasse sei mit Beamern, Computern, AppleTV und iPads ausgestattet. Die Schule selbst habe 280 iPads, doch in der Regel bringt jeder Schüler sein eigenes iPad mit, das die Eltern bezahlen oder auf Raten finanzieren. Ob Pausenraum, Turnhalle oder Klassenzimmer – jede Ecke sei hier mit W-Lan ausgestattet.

Besonders spannend: Auch wenn iPads erlaubt sind – es herrscht ein striktes Handy- und Smartphone-Verbot. Wer eins mitbringt, muss es einschließen, anderenfalls wird es vom Direktor konfisziert. Jeder Lehrer der Schule (darunter befinden sich 12 geprüfte Informatiker) hat 15 Pflichtstunden zu absolvieren, in denen es darum geht, die Arbeit mit iPads zu erlernen, im Schnitt machen hier aber alle um die 60 Stunden. Des Weiteren gibt es regelmäßig interne Schulfortbildungen zum Thema iPad. Außerdem finden immer wieder internationale Projekte in der Schule statt, die immer reich an Teilnehmern sind.

Schließlich wird uns gezeigt, was so ein iPad überraschenderweise kann: Die Lehrer haben am Ende des Schuljahres ein iPad-Konzert aufgeführt, bei dem sie mithilfe der Tablets klassische sowie kubanische Musik gespielt haben. Davon wurde uns ein Videofilm gezeigt.

Obwohl die Schule vollständig digitalisiert ist, bedeutet das nicht, dass es keine Stifte und Bücher gibt: Auf jedem Tisch befinden sich neben den iPads immer Schreibwerkzeug und Hefte, denn es ist sehr wichtig, dass die Schüler nicht nur mit ihrem Finger auf dem iPad schreiben können, sondern auch mit Füllfederhaltern im Heft. Vor allem Schreibschrift werde hier stark gefördert.

Im Anschluss an die Vorstellung besuchen wir eine 7. iPad-Klasse, wo wir gemeinsam mit den Schülern Arbeitsblätter erarbeiten. Hier wird uns auch noch mal erklärt, dass es über zwei Jahre lang eine Testphase mit iPads in einer Klasse gab. Das Konzept war offensichtlich sehr erfolgreich, so bekam die iPad-Schule überhaupt ihre Daseinsberechtigung.

Zum Schluss bekommen wir von der stellvertretenden Schulleiterin eine Führung durch das Gebäude, samt Küche (Rezepte befinden sich hier – natürlich – auf den iPads), Turnhalle und Klassenzimmern.

Und zum Schluss teilen wir unseren Kurs in zwei Gruppen: Ich fahre mit meiner Gruppe zur Schokoladenfabrik Zotter, die anderen (die offenbar schon süß genug sind) gehen zur Besichtigung einer mittelalterlichen Riegersburg. Ein wahrlich krönender Abschluss eines spannenden Tages.

 

Tag 4 – Mittwoch, 08.Mai 2019

Wir starten den heutigen Tag mit einem digitalen Lerncafé: Die Lernenden von Atempo präsentieren uns all die Apps, mit denen sie spielend lernen. Eine schöne Arbeitsweise, denn durch ihre Behinderungen sind sie alle auf einem unterschiedlichen Stand und so kann eine Inklusion samt Binnendifferenzierung stattfinden, da jeder auf seinem Level arbeitet. Ich setze mich zu einem der Lernenden und begleite ihn einige Zeit durch seinen Unterricht.

Überraschend, wie eigenständig sie dabei teilweise sind. Das finde ich einfach klasse! Die Apps, die ich dabei kennengelernt habe:

  • Osmo Pizza Co. – Hilft dabei Mathematik, den Umgang mit Geld sowie soziale Fähigkeiten zu erlenen, indem sie mit Spielsteinen und der iPad App eine Pizzeria führen.
  • Osmo Monster – Wir sind kreativ! Mit Ismo Monster werden Zeichnungen der Lernenden Teil einer magischen, animierten Welt.
  • Tynker – Mit dieser App kann man auf spielerische Art und Weise das (einfache) Programmieren lernen.
  • Osmo Words – für Kinder und Jugendliche gemacht, um neue Wörter zu lernen und richtig schreiben zu üben.
  • Tangram – Hier kann man unterschiedliche Formen auf dem Bildschirm miteinander kombinieren.

Im Anschluss daran nähern wir uns dem Themenbereich „Mindmapping“ – sprich: Wissen entwickeln und organisieren. Thomas, einer der Kursleiter, erklärt uns, wie wir unsere Gedankenwelt zu verschiedenen Stichwörtern nicht mehr nur auf dem Papier, sondern mit der „Mindmap“-App digitalisieren können. So sieht meine Mindmap zum Thema VHSn beispielsweise aus – es war der erste Testversuch:

Außerdem lernen wir „Quizlet“ kennen, ein Karteikartensystem, das mal etwas anderes ist als die klassischen Karteikarten, die man aus der Schule kennt. Diese App laden wir uns eigenständig herunter, vgl. quizlet.com, und üben darin. Einige Lernspiele sind dabei sehr interessant und passend für Orientierungskurse (Themenvielfalt: Politik, Literatur, Geschichte usw.)!

Zum Schluss gibt es einen Spaziergang durch Graz, wonach wir gemeinsam bei einer wohlverdienten Pizza in der hiesigen L’Osteria den Tag ausklingen lassen.

 

Tag 5 – Donnerstag, 09.Mai 2019

Am heutigen Tag steht gleich morgens eine Entscheidung an, denn es gibt für den Vormittag zwei Angebote: Die Mehrstufenklasse und multikulturelle iPad-Klasse der VS Hirten zu besuchen oder – und dafür entscheide ich mich – Digitalisierung bei der Erwachsenenbildung.

Zu sechst fahren wir zu Atempo und lernen heute vor allem viel über Online Seminare, sogenannte Webinare und dazugehörige Programme samt all ihrer Vorteile kennen.

Zunächst erarbeiten wir folgende Frage: Was hat Digitalisierung überhaupt mit der Erwachsenenbildung zu tun? Unsere Antwort kommt in acht Thesen:

  1. digitale Inhalte sind DAS Feld für LLL schlechthin
  2. die EB hat DIE Zielgruppe für den digitalen Kompetenzerwerb
  3. die EB trifft auf eine große inhaltliche Nachfrage
  4. die EB hat einen inhaltlichen Auftrag dafür
  5. die EB IST auch selbst die Zielgruppe für den Kompetenzerwerb
  6. die (traditionelle) EB hat massive Konkurrenz dabei/dadurch
  7. die EB hat neue Verantwortung
  8. die EB hat neue Chancen durch digitale Formate

Wir wissen, dass etwa 42% der Erwerbsbevölkerung 45 oder älter ist und damit ohne Digitales aufgewachsen. Doch die Digitalisierung bedeutet aufgrund des schnellen technischen Fortschritts vor allem eins: Wir alle müssen laufend weiterlernen – und das in jedem Alter! Beim Management von Erwachsenenbildung sind einige Punkte besonders wichtig, vor allem aber muss in erster Linie Digitalisierung als Chance gesehen werden. Erst dann kann man damit erfolgreich weiterkommen. Wir können lernen, wann und wo wir wollen – und dies beliebig oft wiederholen. Und das ist doch einfach klasse, oder? Weitere Vorteile/Potenziale der Erwachsenenbildung durch Digitalisierung, die wir erarbeiten, lauten:

  • Live und zeitnah verbunden sein wie nie zuvor
  • Kooperieren über Distanzen – einfacher denn je
  • Andere mitnehmen, wohin wir wollen
  • Workshops: offen für Online-Teilnehmer
  • Seminare sind partizipativer und Dokumentationen einfacher
  • auch Manuelles kann man online lernen (klettern, stricken,…)
  • Flipped Classroom: mehr Zeit für das Wesentliche
  • flexibles und unabhängiges Lernen
  • Wahlmöglichkeiten bzgl. Ort, Zeit, Tempo, Wiederholungen, Medien,…
  • größere Reichweite von Bildungsangeboten
  • bessere Vernetzungen, leichtere Treffen und Kooperationen
  • potenziell mehr Zeit für Austausch (flipped courses)
  • potenziell bessere Binnendifferenzierung (OER, Apps,…)
  • mehr Wissen und Ressourcen durch OER
  • und noch mehr mit MOOCs (Ausrollungen, Begleitangebote, Skalierung etc….)

Später wird uns noch kurz die vhs Cloud erklärt. Jede vhs und jeder vhs-Landesverband kann in der vhs.cloud die Einrichtung eines eigenen Bereichs („Subhost“) beantragen. Dieser ist dann selbstständig zu administrieren.

 

Nach der Mittagspause beginnt der nächste Kurs: „Digi.DaZ“. Dabei geht es um Online-Unterricht. Die Kursleiterin erzählt uns, dass sie selbst Online Seminare leite, und zwar zweimal die Woche. Dabei schaltet sie sich in einer Klasse dazu. Die Schüler arbeiten auf ihren iPads, sie selbst wird durch eine Leinwand übertragen. WICHTIG: Es muss immer eine Aufsichtsperson vor Ort sein, damit die Schüler den Fokus nicht verlieren. Außerdem sollten es nicht mehr als drei Kinder pro Online Seminar sein.

Dann wird in der DaZ-Klasse mit verschiedenen Programmen gearbeitet. Eins dieser Programme, heißt Baiboard – hier kann man selbst Folien auf einem visuellen Whiteboard erstellen. Mit uns wird ein solches Online-Seminar durchgeführt – und durchgespielt, wie es wirklich ablaufen würde. Das finde ich wahnsinnig spannend, vor allem gefällt mir das erwähnte Programm, das wir ausprobieren dürfen.

 

Tag 6 – Freitag, 10.Mai 2019

Heute Morgen gab es einen Überraschungsgast: Eine blinde Dame wurde uns vorgestellt. Sie ist Juristin, arbeitet an der Uni Graz. Warum sie da war? Um uns zu erklären, weshalb sie ein riesiger Apps-Fan ist. Denn wie gehen Blinde eigentlich mit iPads um? Das meiste funktioniert über das Abhören. Man tut, was einem gesagt wird, führt verschiedene Befehle aus: Nach rechts streichen, mit zwei Fingern nach unten streichen – das nennt sich „Blindes Lesen“.

Um zu schreiben, drückt sie auf die Tastatur bis ihr angesagt wird, welcher Buchstabe gerade gedrückt wird. So ist es möglich, ganze Texte zu schreiben. Auch das Lesen am iPad ist umsetzbar: Möchte man beispielsweise eine Online-Zeitung lesen, bittet man den Hilfsassistenten die Texte vorzulesen. Eine spannende, motivierende und inspirierende Erfahrung!

Im Anschluss geht es um das Thema „Digitales Quiz und Testtools“. Dabei lernen wir, eigenständig ein Quiz zu erstellen. Ich entscheide mich für ein Quiz mit der Überschrift „Alles über Dithmarschen“ und erstelle es selbst.

 

Die letzte Aufgabe besteht aus einem Video-Crashkurs und mobiler Videoproduktion. Wir installieren eine entsprechende App und der Kursleiter übt in einem kurzen Einzelunterricht mit jedem von uns. Wir lernen Folgendes:

  • Wie nimmt man auf
  • Wie schneidet man Abschnitte heraus, die man nicht braucht
  • Wie verpasst man dem Video einen entsprechenden Ton oder Musik

Wir werden anschließend in zwei Gruppen geteilt und bekommen die Aufgabe, in Gruppenarbeit einen Film zu drehen und darin zu zeigen sowie zu erzählen, was uns an der Woche in Graz besonders gefallen hat, was wir nehmen mitnehmen und was setzen wir im eigenen Unterricht umsetzen werden.

Zu guter Letzt werden uns Zeugnisse ausgestellt und es gibt einen feierlichen Sektempfang. Im Großen und Ganzen kann ich über diese Weiterbildung Folgendes zusammenfassend sagen: Eine schöne Erfahrung, viele neue Kontakte, interessante Themen, inspirierende Persönlichkeiten und so vieles, das ich gelernt und für meinen Unterricht mitnehme. Lernapps, Lernen und Gestalten, Digitale Erwachsenenbildung, Tools… Klasse! Aber mein absolutes Highlight war definitv die iPad-Schule, über die ich vor ein paar Tagen berichtet habe. So einen technischen Fortschritt im Lernen und Unterrichten habe ich selten gesehen und finde es sehr vorbildlich.

Denn digitales Lernen ist nicht nur wichtig, es macht auch sehr viel Spaß und ist vor allem eins – die Zukunft!