Hospitation in Malmö, Schweden

von A. W.

Lerntagebuch Malmö 2024

23. April, Tag 1

Dieses Mal ist der vhs-Kugelschreiber auf Erasmus-Rudelreise unterwegs. Mit dem vhs-Bus geht es nach Malmö. Da wir u.a. in Sachen Integration unterwegs sind, beschäftigen wir uns auf der Fahrt mit der Frage, ob wir mit unseren Teilnehmenden aus Integrations- und EOK-/ STAFF-Kursen diese Reise machen könnten. Die Antwort ist eindeutig: Es kommt darauf an. Wir erfahren, dass es insgesamt sieben Aufenthaltstitel gibt, einen „grauen“ und einen „blauen Pass“ und das Aufenthaltsrecht nicht leicht zu durchdringen ist.

Das reisende Kugelschreiber-Rudel
Auf der großen Beltbrücke

Der erste Stopp führt jedoch an Malmö vorbei in die Dom- und Universitätsstadt Lund, wo wir uns zunächst den Dom anschauen. Insbesondere die Krypta ist groß, warm und beeindruckend. Sie wird als Ausstellungsfläche genutzt.

Dom zu Lund

Weiter geht es zur Universität Lund, wo uns Helena Berglund vom Institut für Lehrerbildung erwartet. Sie erklärt uns das schwedische Bildungssystem, was mit seinen vielen Optionen wie in den meisten Ländern nicht leicht zu verstehen ist, wenn man es nicht selbst durchlaufen hat. Das Thema soll uns noch die nächsten Tage begleiten. Interessant ist die kommunale Einrichtung für nachholende Bildung „komvux“ (kommunal vuxenutbildning) als Teil des Bildungssystems. Erwachsene können hier auf unterschiedlichen Niveaustufen des Schulsystems Fächer nachholen und sich damit Zugänge zu weiterführender Bildung verschaffen.

Ein Gang über den Campus rundet unseren Besuch ab.

Witziges Detail: Die Wand, an der Doktoranden ihre fertige, als Buch veröffentlichte Doktorarbeit annageln, bevor sie sie verteidigen

 

24. April, Tag 2

Wir besuchen die Kvarnby Folkhögskolan, das eigentliche Ziel unserer Reise. Unsere Einrichtungen sind seit mittlerweile 6 Jahren miteinander bekannt, was sich durch unregelmäßige Besuche auszeichnet, und der Empfang durch Rektor Henning Süssner Rubin und seine Kolleg*innen ist herzlich.

Hier finden vor den Toren der Stadt Kurse statt, in denen Erwachsene den schwedischen Schulabschluss erlangen können (wie es auch bei „komvux“ möglich ist) aber auch Schwedischkurse für Migrant*innen, so z. B. ein Kurs für Akademiker*innen mit entsprechender Progression.

Die Folkhögskolan ist nur bedingt mit einer deutschen Volkshochschule vergleichbar. Es fehlt z. B. das offene Kursangebot. Auch scheint die Finanzierung der Einrichtung durch öffentliche Gelder auskömmlich zu sein. Die Erwachsenenbildung wird in Schweden offenbar als gleichberechtigte 4. Säule des Bildungssystems anerkannt. Hinzu kommt, dass von der Finanzierung auch die Teilnehmenden profitieren. Nicht nur sind die Kurse kostenfrei, es gibt auch einen Anspruch auf eine Art BAföG über die Lebenszeit von insgesamt 6 Jahren, sodass man sich tatsächlich in Vollzeit weiterbilden kann. Alternativ gibt es Teilzeit-Bildungsangebote.

Die Kvarnby Folkhögskolan ist als Kooperative/Genossenschaft organisiert. Es gibt ca. 150 Anteilseigner, neben Privatpersonen vorrangig Gruppierungen aus dem politisch linken Spektrum. Noch ein Unterschied zu Deutschland und seinen Volkshochschulen, die sich die politische Neutralität auf die Fahnen schreiben: Erwachsenenbildungseinrichtungen haben (abgesehen vom kommunalen „komvux“) eine politische oder religiöse Zugehörigkeit.

Den Anteilseignern steht die Schule als Veranstaltungsstätte zur Verfügung, ein Vorstand bestimmt über die Gesamtausrichtung.

Am Nachmittag bekommen wir von Henning eine Führung durch das ehemals dänische Malmö, das 1658 schwedisch wurde. Spätestens seit der Landverbindung mit Dänemark durch die Öresundbrücke wächst die Stadt. Sie hat mittlerweile knapp 350.000 Einwohner*innen.

Viele alte Gebäude wurden im Laufe der Jahre abgerissen, dennoch ist ein charmantes Stadtbild erhalten geblieben:

Die Liebesstraße –Kärleksgatan
Das Rathaus
Altes Fachwerkhaus am Marktplatz

Mülltrennung wird auch im öffentlichen Raum praktiziert – am Park gibt es einen eigenen Container für Einweggrills.

2 Wochen nach unserer Reise findet in Malmö der diesjährige ESC statt. Wegen der Teilnahme Israels wird mit größeren Protesten und Ausschreitungen gerechnet. Während wir vor Ort sind, wird die Terrorwarnstufe auf 4 von 5 hochgesetzt – auf uns macht die Stadt jedoch einen friedlichen Eindruck.

 25. April, Tag 3

Wir besuchen eine Außenstelle der Kvarnby Folkhögskolan in Malmö, wo Schwedischkurse (das schwedische Integrationskurs-Pendant sfi – svenska för indvandrare) stattfinden. Dort dürfen wir im Unterricht hospitieren. In einem A1/A2-Kurs (wobei Schweden sich nicht für den Europäischen Referenzrahmen interessiert) ist heute die Kommune und ihre Aufgaben das Thema.

Drei Dinge fallen besonders auf:

  • Die Teilnehmenden sind sich einig, dass Steuern zahlen eine gute Sache ist – schon auf diesem Niveau wird deutlich gemacht, was der Staat/die Kommune damit alles ermöglicht und bereitstellt.
  • Ein melodisches Klingeln am Ende der Stunde – so leise, dass man es fast schon überhört – sorgt für einen ruhigen Übergang in die Pause. Warum braucht es so ein schrilles Klingeln, das alle aufschreckt und für Unruhe sorgt?
  • Neben der fika spielt auch ein gemeinsames warmes Mittagessen eine große Rolle. Überall, wo wir hinkommen, finden wir in allen Teeküchen immer mindestens 3 Mikrowellen vor.

26. April, Tag 4

„Komvux“ ist uns in den vergangenen Tagen immer wieder im Zusammenhang mit Erwachsenenbildung begegnet und wir bekommen die Gelegenheit, Komvux Malmö einen Besuch abzustatten und uns dort mit der stellvertretenden Schulleiterin und einige Lehrkräften und Sozialpädagogen auszutauschen.

Komvux Malmö ist in kommunaler Trägerschaft. Als Pflichtaufgabe der Kommunen wird es zum Teil auf an private Träger vergeben – im sozialdemokratisch geprägten Malmö ist Komvux in der Hand der Kommune.

Hier finden Kurse zum Nachholen oder Verbessern des Schulabschlusses statt. Außerdem gibt es die schulische Ausbildung in den Bereichen Gastronomie und Bäckerei (die duale Ausbildung gibt es in Schweden nicht) und natürlich auch sfi – Schwedisch für Einwanderer. Inklusion spielt eine große Rolle in Schweden. Lernschwächeren und Lernbehinderten wird man mit der „anpassat utbildning“ gerecht und bringt sie über diese „angepasste Ausbildung“ zum Abschluss. Die Kommune investiert in Stellen für Pädagogen, die Lehrkräften zur Seite stehen. Eine Herausforderung bleibt es trotzdem. Beeindruckend sind auch die offenen Lernwerkstätten, wo es „drop-in Zeiten“ gibt, an denen Lehrkräfte den Lernenden zur Beratung zur Verfügung stehen.

Letzter Programmpunkt unserer Reise ist ABF, der Arbetarnas Bildningsförbund. Er ist einer von insgesamt neun nationalen Studienverbünden.

Das Haus wurde 1938 eröffnet. Überall finden sich große Wandbilder, die verschiedene Arbeiterszenen darstellen.

Die Studienverbünde kommen von ihrer Organisation und ihrem Angebot den deutschen Volkshochschulen am nächsten, haben jedoch alle eine bestimmte politische oder religiöse Herkunft. Wie der Name schon sagt, ist der ABF der Bildungsverein der Arbeiterbewegung. Auch hier sind wieder Vereine und Verbünde Mitglieder, können das Haus nutzen und Angebote durchführen. Gleichzeitig gibt es auch ein offenes Kursprogramm sowie die schwedischen „studiecirklar“ – Studienzirkel, ein partizipatives Bildungsformat, was oftmals von Einzelpersonen initiiert wird und hier stattfindet.

Mit diesem letzten Programmpunkt endet unsere Reise und wir machen uns über die Brücken wieder auf den Weg nach Hause. Ein inspirierender Blick über den eigenen Tellerrand!